Fokus Forschung: Lässt sich Künstliche Intelligenz zur Vorhersage von pharmazeutischen Wirkstoffeigenschaften nutzen? – KiWi soll Antwort finden

Fokus Forschung: Lässt sich Künstliche Intelligenz zur Vorhersage von pharmazeutischen Wirkstoffeigenschaften nutzen? – KiWi soll Antwort finden

Forschung, Forschungsprojekte

Promovierte Jungunternehmer und Absolventen der Hochschule forschen gemeinsam mit SICIM an KI-basiertem Framework

Schamtische Beispielgrafik, Datenmengen in einer Kugel

KiWi – so ist der Kurztitel für ein neues Kooperationsvorhaben, das ab 01.12.2021 unter der Leitung von Prof. Dr. rer. nat. habil. Thomas Villmann gemeinsam mit dem Start-up PharmAI an der Hochschule beginnt. KIWI steht dabei weder für die Südfrüchte noch für die Vogelart, sondern für Kl-basierte Hochdurchsatz-Annotation von Molekularen Eigenschaften für neuartige Wirkstoffkandidaten

KI für Pharmaindustrie

In den letzten Jahren hat die pharmazeutische Industrie bei der Entwicklung neuer Wirkstoffkandidaten beträchtliche Fortschritte erzielt. Mittlerweile sind digitale Bibliotheken hunderter Millionen niedermolekularer Substanzen verfügbar, die zur Entdeckung neuer Wirkstoffe herangezogen werden können. Ein bestehendes Problem ist jedoch die Vorhersage physikalischer, chemischer und molekularer Eigenschaften (z.B. Blut-Hirnschrankengängigkeit) dieser Substanzen ohne kostenintensive und langwierige Laborexperimente. Das Wissen um diese Eigenschaften erlaubt es, Substanzen speziell im Hinblick auf das Anwendungsgebiet auszuwählen. Die computerbasierte Verarbeitung dieser Bibliotheken stellt nach wie vor eine enorme Herausforderung dar.

Es werden Systeme gebraucht, die diese Bibliotheken schnell und zielsicher analysieren, die Wirkstoffeigenschaften vorhersagen, Nebenwirkungen ausschließen und so nahezu ideale Wirkstoffkombinationen für die Entwicklung neuer Medikamente finden.

KiWi schafft Lösungsansatz

Ziel des angelaufenen Forschungs- und Entwicklungsvorhabens ist es, ein modulbasiertes und erweiterbares Framework zur Vorhersage dieser Eigenschaften zu entwickeln. Das System soll auf nachvollziehbarer künstlicher Intelligenz (KI) basieren. Mittels künstlicher Intelligenz soll ein interpretierbares Modell trainiert werden, welches in der Lage ist, pharmazeutisch relevante Eigenschaften für Millionen von Wirkstoffen akkurat vorherzusagen. Die Erreichung dieses Zieles erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von KI-Entwicklern und Life-Science-Experten, die im Zusammenschluss zwischen dem Start-up PharmAI GmbH und dem Sächsischen Institut für Computational lntelligence und Machine Learning der Hochschule Mittweida (SICIM) resultiert.

Zwei Expertenpools arbeiten zusammen

Die PharmAI GmbH unterstützt als Dienstleister Unternehmen aus Europa, Asien und den USA bei der Entwicklung neuer Medikamente und Therapien, sowie bei der Identifikation von unerwünschten Nebenwirkungen. Durch die hauseigene Software DiscoveryEngine wird eine hohe Erfolgsquote in kurzer Zeit erreicht. Dabei sind die Akteure keine Unbekannten an der Hochschule. Christoph Leberecht und Dr. Florian Kaiser sind beide Absolventen der Hochschule Mittweida und promovieren bzw. promovierten an unserer Einrichtung im kooperativen Verfahren.

Die Expertise des SICIM der Hochschule Mittweida liegt insbesondere in der Entwicklung von schnellen und interpretierbaren Modellen des Maschinellen Lernens.

Die Anwendung von KI in technischen Systemen, wie sie hier angestrebt wird, muss eine Interpretierbarkeit der Algorithmen und Modelle gewährleisten. Daher ist es notwendig, die KI nicht als Black-Box-Modell aufzufassen, sondern exakt an die Problemstellung anzupassen. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf schnelle Berechenbarkeit gesetzt, um den Ansatz skalierbar zu halten und für die stetig wachsenden Substanzbibliotheken anwendbar zu machen. Im Rahmen des Projekts soll außerdem evaluiert werden, ob die Ergebnisse es erlauben, Moleküle mit definierten Eigenschaften aus einem virtuellen chemischen Raum auszuwählen. Um die Skalierbarkeit des Geschäftsmodells zu gewährleisten, soll eine Cloud-Plattform geschaffen werden, die es Kunden ermöglicht die DiscoveryEngine zur Vorhersage der Moleküleigenschaften zu nutzen.

Vertiefte Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen

Das Projekt vertieft die strategische Partnerschaft zwischen PharmAI und SICIM und damit die Innovationskraft Beteiligten. Für das SICIM unter der Leitung von Prof. Thomas Villmann bedeutet dieses Projekt einen weiteren Schritt zur Erschließung des Kompetenzbereiches interpretierbare KI für die Bioinformatik. In diesem Kompetenzbereich forschen Nachwuchswissenschaftler und Naturwissenschaftlerinnen im Rahmen verschiedener Fragestellungen der Bioinformatik, z-B. der DNA-/RNA- oder Proteinanalyse, zur Anwendung interpretierbarer KI-Modelle. Das aktuell aus fünf Personen bestehende Bioinformatik-Team ist in die ESF-Nachwuchsforschergruppe (NFO) MaLeKITA – Maschinelles Lernen und KI in Theorie und Anwendung, gefördert durch das SMWK, am SICIM integriert und welche durch Dr. Marika Kaden geleitet wird.

SICIM-Direktor Prof. Villmann freut sich über diese Kooperation mit PharmAI besonders, da hier die KI-Theorie-Forschung auf die unmittelbare Anwendung in der Praxis in einem hochinnovativen Sektor trifft, der zu den Stärken des Freistaates Sachsen gehört. In diesem Sinn ist das Projekt eine konkrete Realisierung der Schwerpunktforschung, wie sie in der KI-Strategie des Freistaates verankert ist.

Dr. Joachim Haupt als Geschäftsführer von PharmAI sieht im Projekt die Kontinuität des Wissenstransfers und der Nachwuchsentwicklung von Hochschule zur Wirtschaft verwirklicht und außerdem einen Meilenstein für die Einschätzung pharmakologischer Eigenschaften von Wirkstoffkandidaten. Der Absolvent der Hochschule Mittweida Dr. Florian Kaiser ist Mitgründer der PharmAI GmbH und dort für die Technologieentwicklung verantwortlich. Er schätzt die bisherige Zusammenarbeit und bewertet die daraus entstandenen Innovationen als zukunftsweisenden Beitrag für eine moderne Wirkstoffentwicklung.

Das Projekt wird auch im Rahmen des online stattfindenden internationalen 5. Workshops Bioinformatics meets Machine Learning (BIML) am 1. und 2. Dezember 2021 an der HS Mittweida vorgestellt.

Freistaat Sachsen fördert Innovationen

Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit unterstreicht den basisinnovativen Charakter des Vorhabens, welches sich optimal in die Innovationsstrategie des Freistaates Sachsens eingliedert. Das FuE-Projekt unterstützt das "Zukunftsfeld Digitales" und ist im Spannungsfeld zwischen Life Sciences und Big Data Analytics anzusiedeln. Gleichzeitig ist die Anwendung smarter KI-Methoden in der Bioinformatik als Beitrag zur Realisierung der KI-Strategie des Freistaates Sachsen zu sehen.

Das Projekt KiWi wird mitfinanziert mit Steuermitteln auf Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes sowie aus Mitteln der Sächsischen Technologieförderung (EFRE). Das Projekt MALEKITA wird mitfinanziert mit Steuermitteln auf Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes sowie aus Mitteln des europäischen Sozialfonds (ESF).

Text: Prof. Thomas Villmann
Fotos: pixabay (1), PharmAI GmbH (2), Hochschule Mittweida (3)
Schematische Grafik: PharmAI GmbH