Fokus Forschung: Angewandte Mathematik - Von Mittweida nach Houston

Fokus Forschung: Angewandte Mathematik - Von Mittweida nach Houston

Forschung, Konferenzteilnahmen

Zum Anfang des neuen Jahres besuchten Professor Thomas Villmann und Marika Kaden M.Sc. von der Forschungsgruppe Computational Intelligence (CI) die internationale Konferenz ‚Workshop on Self-Organizing Maps (WSOM)‘.

Nach Mittweida im Jahr 2014 fand die 11. Auflage dieser Konferenz im Jahr 2016 in Houston statt. Wissenschaftler aus 15 Ländern trafen sich vom 6.-8. Januar an der Rice University, die zu den Top Ten der Privatuniversitäten der USA gehört.

Hauptorganisatorin war Frau Prof. Erzsébet Merényi vom Statistical Department, mit der Prof. Thomas Villmann seit vielen Jahren  u.a. bei der  Auswertung von NASA-Satellitenbildaufnahmen zusammenarbeitet und die auch schon zu mehreren Forschungsaufenthalten an der Hochschule Mittweida war.

Der Fokus der Konferenz liegt auf  Algorithmen zur Datenvisualisierung, Clustern und Klassifizierung, die sich an der sensorischen Informationsverarbeitung im menschlichen Kortex orientieren. Diese Hirnareale weisen eine hohe selbstorganisierte Strukturiertheit auf, die eine effiziente Verarbeitung sensorischer Reize wie Hören, Sehen oder Tasten ermöglichen. Mathematische Modelle dieser biologischen Informationsverarbeitung erlauben einen Einblick in das Verständnis neuronaler Informationsverarbeitung und bilden gleichzeitig als selbstlernende Algorithmen zur Datenanalyse und Visualisierung hocheffiziente Verfahren. Diese Modelle, selbstorganisierende Merkmalskarten und lernende Vektorquantisierer, werden in ihren grundlegenden Varianten auch in der Lehrveranstaltung Computational Intelligence den Studenten unserer Hochschule vorgestellt.

Prof. Thomas Villmann und Marika Kaden waren mit jeweils zwei Fachbeiträgen auf der Konferenz vertreten. Frau Kaden referierte unter anderem über effiziente Verfahren zur Analyse komplexwertiger Signale, die sie zusammen mit Matthias Gay M. Sc. (ebenfalls CI-Gruppe) und den Professoren Alexander Lampe (Fakultät Angewandte Computer- und Biowissenschaften), Michael Biehl (Universität Groningen) und Thomas Villmann entwickelt hat.

Prof. Thomas Villmann stellte neben einer theoretischen Arbeit zur Verarbeitung nichtstrukturierter Signale (zusammen mit David Nebel, CI-Gruppe) ein mathematisches Verfahren zum Erlernen sicherer Klassifikationen von Daten vor, d.h. das Klassifikationsmodell generiert nicht nur eine Klassifikationsentscheidung, sondern bewertet auch die Sicherheit dieser Prognosestellung. Die mathematische Theorie hatte er zusammen mit Prof. Barbara Hammer (CITEC Excellence Cluster der Universität Bielefeld) im vergangenen Jahr entwickelt. Bei diesem Verfahren werden automatisch unsichere Klassifikationsentscheidungen detektiert und dem Anwender zur erneuten, nun manuellen, Begutachtung vorgelegt. Dabei wird ein kostenbasiertes Entscheidungsmodell zugrunde gelegt, das Entscheidungskompetenz selbständig aus Daten extrahiert und somit Expertenwissen akkumuliert. Solche selbstlernenden Entscheidungssysteme können z.B. bei medizinischen Assistenzsystemen angewendet werden, wo Klassifikationsentscheidungen und  gegebenenfalls Fehldiagnosen unterschiedliche Folgekosten generieren. Im Konferenzbeitrag wurde ein solches selbstlernendes Klassifikationssystem zur Erkennung koronarer Herzerkrankungen (zusammen mit Tim Drogies und Josepha-Maria Villmann, Uniklinikum Leipzig, Institut für klinische Chemie und molekulare Diagnostik) vorgestellt, welches ebenfalls eine Risikoabschätzung der Klassifikationsentscheidung liefert und deshalb bei unsicherer Entscheidung ein Neuuntersuchung vorschlägt

Der innovative mathematische Ansatz zur Modellierung solcher Entscheidungssysteme unter Einbeziehung von Klassifikationssicherheit wurde durch die Konferenzteilnehmer mit außerordentlichem Interesse aufgenommen und schlussendlich mit dem ‚Best Paper Award‘ der Konferenz ausgezeichnet.

Nun gilt es, dieses Klassifizierungsverfahren mit integrierter Klassifikationssicherheit durch Zurückweisungsstrategien für weitere Anwendungsfelder zu erschließen. Industrielle Anwender sind ebenfalls an solchen intelligenten Entscheidungssystemen interessiert, wie die Zusammenarbeit von Prof. Thomas Villmann mit der Firma Porsche bestätigt.  Erste Versuchsergebnisse bei der automatischen Kalibrierung von Scheinwerfern durch Sascha Saralajew, die auch schon auf der Konferenz mit dargestellt wurden, lassen weiteres Potential erkennen, das durch intensive Kooperation in den nächsten Wochen und Monaten erschlossen werden soll.

Ein weiterer Höhepunkt der Konferenz war der Besuch des NASA Johnson-Space-Centers in Houston, von dem alle bemannten US-Raumfahrtmissionen gesteuert und kontrolliert werden. Dabei konnte die Konferenzteilnehmer auch den Mission-Control-Room besichtigen - einschließlich aktuellem Blick zur ISS-Raumstation.

 Aber auch der historische Apollo-Kontrollraum beeindruckte mit seinem historischen Equipment, unter anderem mit dem Lautsprecher, durch den die zwei wohl berühmtesten Sätze tönten: "Houston, we‘ve had a problem" bei der Apollo 13 Mission im Jahr 1970 und "Houston, Tranquility Base here. The Eagle has landed" von Neil Armstrong bei der ersten Mondlandung von Apollo 11 im Jahr 1969. 

Die Fortführung dieser Konferenzreihe ist geplant. Im Juni 2017 werden sich die Wissenschaftler in Frankreich treffen. Dabei werden auch Probleme erörtert werden, die auf der diesjährigen Konferenz in Houston als neue Fragestellungen diskutiert wurden.

Weitere Informationen und Kontakt zur Forschungsgruppe

 

Text und Fotos: Prof. Thomas Villmann