Fokus Forschung: Kulturelle Bildung und gesellschaftlicher Wandel

Fokus Forschung: Kulturelle Bildung und gesellschaftlicher Wandel

Forschung, Forschungsprojekte

Ergebnisse des BMBF-geförderten Forschungsprojektes KUBILARI an der Fakultät Soziale Arbeit werden vorgestellt

 

Wirklichkeit und Selbst-Bilder konstruieren Menschen über Geschichten. In Erzählungen halten wir fest, wer wir sind und sein wollen. Forscher nennen das auch narrative Identität. Die Lebenserfahrungen werden immer wieder durch gesellschaftliche Krisen, Umbrüche und Veränderungen geprägt. Diesen Wandel verarbeiten Menschen in unterschiedlicher Weise. Auch Kunst und Kultur können dabei helfen. Wie genau, das wurde jetzt im Teilprojekt I der Verbundforschung „Kulturelle Bildung und ländliche Entwicklung“ (KUBILARI) an der Hochschule Mittweida untersucht. Die Ergebnisse wurden im März 2023 veröffentlicht.

Das Projektteam um Prof. Dr. Stephan Beetz und Ulf Jacob von der Fakultät Soziale Arbeit sprach mit kulturell-künstlerisch engagierten Personen aus dem Erzgebirge und der Oberlausitz. In Interviews, Gruppendiskussionen, teilnehmenden Beobachtungen, Ortsbegehungen und Quellenanalysen untersuchten sie, welchen Beitrag kulturelle Bildung bei der Verarbeitung von Umbrüchen in ländlichen Räumen leisten kann. Das Projektteam wollte damit besser verstehen, wie Kultur zur regionalen und lokalen Identität beiträgt.

Den Wandel in Wort fassen

In der Analyse des gesammelten Materials wurden vier Erzählmuster über den gesellschaftlichen Wandel deutlich. Als erstes sprechen die Interviewten von einem permanenten Wandel, den die Menschen in der Region seit Generationen zu meistern haben. Besonders deutlich wurde das bei den Beschreibungen des Strukturwandels in der Lausitz. Der bislang für 2038 angesetzte Ausstieg aus dem Kohleabbau beschäftigt die Region sehr. Die Diskussion darum erscheint den Menschen allerdings nicht neu.

Als zweites verknüpften die befragten Menschen ihr Selbst-Bild mit Erzählungen von „der Wende“ und der Nach-Wende-Zeit. Diese empfanden sie als Zeit des Aufbruchs (z.B. Wohlstandssteigerung, neue Freiheit) aber auch der Bevormundung (z.B. Arbeitslosigkeit, Entwertung von Lebensleistungen, dominanter westdeutscher Einfluss).

Drittens finden sich in den Beschreibungen von Krisen und Umbrüchen Erzählungen zum jüngeren regionalen und lokalen Wandel. In diesen grenzen sich die Interviewten oftmals von zentralen Entscheidungen in Dresden, Berlin oder Brüssel ab. Sie wollen damit die lokale und regionale Handlungshoheit – auch Subsidiaritätsprinzip genannt – erhalten oder zurückgewinnen.

Zuletzt sind im Datenmaterial Beschreibungen eines allgemeinen gesellschaftlichen Wandels prägnant. In den Erzählungen verarbeiten die Menschen darüber Trends wie Digitalisierung und Globalisierung.

Dem Wandel stellen: Wie kulturelle Bildung helfen kann

Wie Menschen über etwas sprechen, zeigt, wie sie denken. Auch im Projekt KUBILARI I wurde das deutlich. Die Forscher erkannten vier Handlungstypen, um mit kultureller Bildung auf den Wandel zu reagieren.

Eine Möglichkeit ist die Aufarbeitung und Erneuerung. Menschen setzten sich dafür innerhalb von Kunst und Kultur mit ihrer Geschichte, der Gegenwart und der Zukunft auseinander. Zweitens gibt es Kulturschaffende, die in Nischen tätig sind. Um den Wandel zu verarbeiten und den Veränderungen zu begegnen, schaffen sie ein eine künstlerische Gegenwelt. Der dritte Typus vergewissert sich der Überlieferung und arbeitet am Erhalten von Tradition. Viertens nehmen Kulturschaffende pragmatisch der Wirklichkeit an und versuchen sie mit Kunst und Kultur umzugestalten.

Die Forschung zeigt, dass die Lage vor Ort, vergangene Erfahrungen mit Erfolg oder Scheitern und die lokal aktiven Personen einen großen Einfluss auf die kulturelle Bildung haben. „Welcher Typus zum Zuge kommt, hängt von den regionalen und lokalen Rahmenbedingungen und der Öffentlichkeit ab“, sagt Ulf Jacob, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei KUBILARI I.

Das war KUBILARI

Die Untersuchungen im Erzgebirge und der Oberlausitz waren Teil einer Zusammenarbeit zwischen Hochschule Mittweida und der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin.

Im gemeinsamen Projekt „Kulturelle Bildung und ländliche Entwicklung“ (KUBILARI) untersuchten die Projektpartner den Einfluss kultureller Bildung auf gesellschaftliche Umbrüche, regionale Identitäten und das öffentliche Bild von ländlichen Räumen. Das Vorhaben wurde von Dezember 2019 bis März 2023 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Die Ergebnisse liegen nun als Print und E-Book vor. Bestellt werden kann die Veröffentlichung über die Hochschule Mittweida (Link). Zum einen sind in ihr die Projektergebnisse dokumentiert. Zum anderen wird die Projektabschlusstagung „Kunst, Kultur und ländliche Räume in Sachsen“ (22. September 2022 im Kraftwerk Chemnitz) aufgegriffen. Durch die ergänzenden Beiträge und Artikel der Kulturschaffenden und einbezogenen Experten ergibt sich eine zusätzliche Erkenntnisqualität.

Text: Christopher M. Brinkmann, Fotos: Ulf Jacob (HS Mittweida), KUBILARI