Fokus Forschung: Perspektivwechsel notwendig Mittweidaer Jura-Professor vergleicht UN-Kinderrechtskonvention mit aktuellem katholischen Kirchenrecht.

Fokus Forschung: Perspektivwechsel notwendig Mittweidaer Jura-Professor vergleicht UN-Kinderrechtskonvention mit aktuellem katholischen Kirchenrecht.

Forschung, Veröffentlichungen

Frank Czerner legt Ergebnisse aus seinem Forschungssemester am Vatikan vor. Ein ausführliches Interview ist auf Radio Vatikan nachzuhören.

Eine männliche Person mit Brille und blauem T-Shirt steht fröhlich lächelnd vor einer Leine, an der mit Wäscheklammern Blätter mit Abdrücken von Händen in roter Farbe befestigt sind. Unter den Abdrücken stehen handschriftliche Kommentare wie „Kinder an die Macht“ und „Kinder brauchen Schutz“.
Kinderrechte sind einer der Schwerpunkte in Forschung und Lehre von Professor Frank Czerner

Kinderrechte und Kinderschutz gehören zum wissenschaftlichen Alltag von Professor Dr. Frank Czerner. Er lehrt an der Hochschule Mittweida Recht in den Studiengängen „Soziale Arbeit“ und „Allgemeine und Digitale Forensik“. So unterschiedlich beide Studiengänge auch sind – es liegt auf der Hand, dass das Thema hier wie dort eine wesentliche Rolle spielt. Strafprozessrecht und Strafrecht schauen ebenso auf kinderschützende Normen wie das Kinder- und Jugendhilferecht sowie das Familienrecht und (Sozial-)Datenschutzrecht. Über jeweilige nationale oder rechtsbereichspezfische Einzelregelungen hinaus genießen Kinderechte wie allgemein die Menschenrechte eine weltweite Bedeutung. Die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 ist Niederschlag dieser Bedeutung. Sie wurde von 196 Staaten unterzeichnet, darunter sehr früh – als viertem Unterzeichner – auch vom Heiligen Stuhl als nichtstaatliches Völkerrechtssubjekt, das heißt vom Papst als höchstem Repräsentanten der römisch-katholischen Kirche.

Hier setzt Czerners Forschungs-Interesse an, für das er sich im Jahr 2022 ein Forschungsfreisemester genommen hatte. Das verbachte er von April bis Juli 2022 größtenteils in Rom am dortigen Institut der Görres-Gesellschaft, innerhalb der Vatikanstadt und in unmittelbarer Nähe der sieben Päpstlichen Hochschulen, deren Bibliotheken ihm Antworten auf seine Frage liefern sollten: Inwieweit bildet sich die UN-Kinderrechte-Konvention (UN-KRK) im römisch-katholischen Kirchenrecht, dem Codex Iuris Canonici (CIC) ab? Die Regelungen des CIC betreffen sowohl die innere Verfasstheit der römisch-katholischen Kirche als auch ihr Verhältnis nach außen und ihr Verhältnis zu den Gläubigen. Kann der UN-KRK-Text als kindeswohlschützende Interpretationshilfe oder sogar als Auslegungsdirektive des CIC angesehen werden? Kann also die völkerrechtliche Verpflichtung, die durch Unterzeichnung der UN-KRK von der katholischen Kirche eingegangen ist, auch Auswirkungen auf das katholische Kirchenrecht haben?

Für die Bedeutung dieser Frage muss man sich bewusst machen, so Czerner,dass der Papst als Oberhaupt der weltweiten römisch-katholischen Kirche hier ein wichtiges Zeichen gesetzt hat – also nicht der Vatikan als Staat, sondern der Heilige Stuhl, aber mit Bindungswirkung auch für den Vatikan. Der Papst vertritt hier den Heiligen Stuhl, das heißt die Kirche, und auch den Vatikan, das heißt den Staat der Vatikanstadt. Insofern gilt die UN-Kinderrechte-Konvention für die gesamte römisch-katholische Kirche weltweit – und dann auch für den Vatikan.

Kirchenrecht und Kinderrecht

Das Verhältnis von Kirchenrecht und UN-Kinderrechtskonvention hat erstmals Czerner wissenschaftlich untersucht. Er nimmt das Regelwerk der Vereinten Nationen und die Bestimmungen des Kanonischen, das heißt kirchlichen, Rechts (CIC) systematisch in den Blick und macht Übereinstimmungen, aber auch Leerstellen sichtbar.
Er stellt fest, dass nationale Regelungen zum Kinderschutz, die die UN-KRK umsetzen, über die internationalen Mitarbeiter aus dem Gremium für die päpstlichen Gesetzestexte in das CIC eingeflossen sind. So lassen sich bestimmte Konventionsrechte aus der UN-Kinderrechtskonvention auch im katholischen Kirchenrecht wiederfinden.

Binnenperspektive und Opferperspektive

Dazu gehöre auch, dass inzwischen verschiedene Formen des sexuellen Kindesmissbrauchs aufgenommen und sehr gut ausformuliert worden seien. Auch was die Reaktion auf Missbrauchsfälle betrifft, sei einiges passiert, so Czerner, und verweist auf Papst Franziskus‘ Apostolisches Schreiben „Vos estis lux mundi“ („Ihr seid das Licht der Welt“) von 2019 (aktualisiert 2023). Im Interview mit Radio Vatikan im Januar 2025 sagt der Mittweidaer Wissenschaftler: Da geht es sehr, sehr detailliert um kirchenrechtliche Maßnahmen zum Umgang mit Fällen des sexuellen Missbrauchs in der Kirche. Ich halte gerade diesen Text für einen der wichtigsten Texte im Zusammenhang mit der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs. Hier geht es um das Verfahren, die Durchführung der Untersuchung, die Meldung, den Umgang mit Missbrauchsvorwürfen. Und Papst Franziskus hat in diesem Text auch sehr, sehr deutlich gemacht, dass eben auch die Opferseite gesehen werden muss, dass das Opfer als solches wahrgenommen werden muss.

Schon im Jahr 2016 habe der Papst in seinem Apostolischen Schreiben „Come una madre amorevole“ („Wie eine liebende Mutter“) eine weitere Lücke im Kirchenrecht geschlossen, in dem auch die Absetzung von Bischöfen geregelt wurde, die im Blick auf den sexuellen Missbrauch in ihrer Kirche die Sorgfaltspflichten vernachlässigten oder Fälle sogar vertuschten.

Beide Beispiele zeigen aber auch die vornehmliche Binnensicht des aktualisierten Kirchenrechts. Die Perspektive Missbrauchsbetroffener komme immer noch zu kurz, so – der Jurist mit dem Berufungsgebiet „Recht in der Sozialen Arbeit“ und Nicht-Kirchenrechtlicher – Czerner gegenüber Radio Vatikan: Mir scheint da ein Perspektivwechsel notwendig zu sein: weniger vom Schutz der Institution ausgehen, sondern eher von der Opferperspektive.

Das komplette Interview mit Professor Frank Czerner zum Nachhören sowie eine Zusammenfassung in Textform finden sich auf der deutschsprachigen Seite von Radio Vatikan unter folgendem Link.

In Vorbereitung und im Zusammenhang mit seinem Forschungsaufenthalt in Rom hat Frank Czerner zwei Publikationen vorgelegt:

(Neu-)Justierung und -Auslegung der Strafzwecke im Corpus Iuris Canonici aufgrund der Apostolischen Konstitution Pascite Gregem Dei, Kanonistische Studien und Texte (KST), Band 76, 2023, 174 Seiten

Der Vatikan als Signatar der UN-Kinderrechte-Konvention? Implementation kinderschützender Normen im Codex Iuris Canonici anlässlich der Apostolischen Konstitution Pascite Gregem Dei und des Motu Proprio Vos estis lux mundi auf der Basis des Wiener Übereinkommens über völkerrechtliche Verträge
Kanonistische Studien und Texte, Band 82, 2024, 221 Seiten

Frank Czerner setzt seine Forschungsarbeit im Zusammenhang mit der UN-Kinderrechte-Konvention fort und plant weitere Publikationen zu ihrem Einbau in das bundesdeutsche Kinder- und Jugendhilferecht sowie in das Straf- und Strafprozessrecht, den Kernfächern des Professors in seiner Lehre an der Hochschule Mittweida.

Text und Bild: Helmut Hammer