In der medialen und öffentlichen Auseinandersetzung, im (kirchen-)politischen Diskurs und im Kontext der kirchlichen Missbrauchs-Debatte hat das Thema Kinderrechte „Hochkonjunktur“. Dies gilt nicht nur innerhalb der (römisch-katholischen) Kirche, sondern überall dort, wo Tatgelegenheiten und entsprechende Haltungen auf Täterseite und ein systemisches „Wegschauen“ in sozialen Nahräumen (beispielsweise in Sportvereinen, Freizeitveranstaltungen) derartige Verbrechen an jungen Menschen begünstigt haben. Die römisch-katholische Kirche ist von diesen Vorwürfen besonders hart betroffen, weil die Kirche, die eine Kirche der Nächstenliebe ist (und sein soll), nun als Täterin am „Pranger steht“. Die Frage nach der Geltung und der Bedeutung der Kinderrechte auch innerhalb der Kirche wird dadurch zwangsläufig gestellt.
Fokus Forschung: Kirchenrecht und Kinderschutz
Fokus Forschung: Kirchenrecht und Kinderschutz
Professor Frank Czerner widmet sich in seinem neuesten Buch der Frage, ob und wie Kinderrechte im Kirchenrecht verankert sind
Was treibt einen Mittweidaer Professor an, sich um die Rechte von Kindern und deren Verankerung im Kirchenrecht zu kümmern? Professor Frank Czerner, Inhaber der Professor für Recht in der Sozialen Arbeit, sagt dazu: „Einerseits bin ich, wenn auch mit kritischem Abstand, seit meiner Taufe im Alter von 10 Jahren der Kirche verbunden und es interessiert mich deren Rechtssystem, andererseits gehören die elementaren Kinderrechte der Vereinten Nation zu den wichtigsten Rechtstexten, die wir im internationalen wie im nationalen Rechtssystem haben. In meinem Buch habe ich versucht, diese beiden Bereiche zusammenzuführen und zu analysieren, ob und inwieweit sich der Kinderschutz auch auf der Ebene des Katholischen Kirchenrechts wiederfinden lässt.“
Die Kinderrechte-Konvention der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1989 wurde von fast allen Staaten der Welt unterzeichnet. Sie stellt damit einen weltweit völkerrechtlich bindenden Vertrag zum Schutz von Kindern und Jugendlichen dar. Auch vom Heiligen Stuhl wurde diese Konvention unterschrieben (nicht lediglich vom Vatikan). Dadurch gelten die Kinderrechte auch innerhalb der römisch-katholischen Kirche und innerhalb des Kirchenrechts, dem Codex Iuris Canonici, der zum 8. Dezember 2021 von Papst Franziskus reformiert worden ist, um Opfer künftig besser schützen zu können. Kinderrechte stehen somit auch auf der Agenda der römisch-katholischen Kirche und sind von ihrem Selbstverständnis und ihrem Auftrag, das „Heil der Seelen“ zu schützen, nicht zu trennen.
Die katholische Kirche wird von Päpsten geleitet, die die Kirche die Kirche in „Eigenregie“ lenken und sie können aufgrund ihres Selbstverständnisses festlegen, ob und wie weit sie beispielsweise den Schutz von Opfern im kirchlichen Strafrecht regeln. Daher ist das kirchliche Strafrecht nicht mit dem weltlichen Strafrecht der einzelnen Staaten vergleichbar:
- Die UN-Kinderrechtskonvention wendet sich in Bezug auf ihren menschenrechtlichen Schutz in erster Linie an Staaten als „klassische“ Völkerrechtssubjekte, welche die internationalen Kinderrechte mit ihrer staatlichen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung auf ihrem staatlichen Hoheitsgebiet, zum Beispiel im Strafrecht, umzusetzen haben.
- Im Kirchenrecht wird demgegenüber die Auffassung vertreten, das kirchliche Strafrecht müsse nicht in gleicher Weise Rechtsgüter wie Leben, körperliche Gesundheit und sexuelle Integrität (von Kindern und Jugendlichen) schützen wie das Recht der einzelnen Staaten: Was also durch das staatliche Recht geschützt wird (wie z.B. durch die Regelung zur Strafbarkeit der Misshandlung Schutzbefohlener), müsse nicht (doppelt) auch durch das kirchliche Strafrecht erfasst sein. Daher findet der Schutz vor Gewalt nach Art. 19 UN-Kinderrechtskonvention im Kirchenrecht eine lediglich teilweise Entsprechung in Bezug auf schwere Formen der Gewalt (Tötung, Entführung mittels Gewalt oder Täuschung, Festhalten, Verstümmeln oder in Form schwerer Verletzungen).
Zur Begründung zugunsten dieses „zurückhaltenden“ kirchlichen Strafrechtsschutzes hinsichtlich der Gewaltzufügung wird ausgeführt, dass es dem kirchlichen (Straf-)Recht in erster Linie um das Heil der Seelen als oberstes Gesetz (des gesamten Kirchenrechts) gehe. Dennoch finden sich im reformierten kirchlichen Strafrecht von 2021 – vor allem in Bezug auf sexuellen Missbrauch - Regelungen, die dem Text der UN-Kinderrechte-Konvention sehr ähnlich sind, weil diese Formulierungen des nationalen Rechts (vor allem aus Italien und Spanien) in das Kirchenrecht übernommen wurden. Dadurch fließen die Kinderrechte der Vereinten Nationen über „staatliche Umwege“ auch in das katholische Kirchenecht ein.
Der Schutz des sich entwickelnden Lebens aus den internationalen Vorgaben der Kinderrechte-Konvention wird im Kirchenrecht in vollem Umfang abgebildet. Im Vergleich dazu enthalten die bundesdeutschen Regelungen betreffend den Schwangerschaftsabbruch zahlreiche Lücken, insbesondere in Bezug auf den Schutz der von Behinderung betroffenen Ungeborenen. Das römisch-katholische Kirchenrecht stellt demgegenüber jede Form des ungeborenen Lebens von Anfang an unter seinen Schutz und vermag dem „Heil der Seelen als oberstes Gesetz“ in der gesamten Phase der menschlichen Entwicklung und des menschlichen Lebens in besonderer Weise zu dienen.
Czerner, Frank (2024): Der Vatikan als Signatar der UN-Kinderrechte-Konvention? Implementation kinderschützender Normen im Codex Iuris Canonici anlässlich der Apostolischen Konstitution PASCITE GREGEM DEI und des Motu Proprio VOS ESTIS LUX MUNDI auf der Basis des Wiener Übereinkommens über völkerrechtliche Verträge. Kanonistische Studien und Texte (KST), Band 82: https://www.duncker-humblot.de/buch/der-vatikan-als-signatar-der-un-kinderrechte-konvention-9783428192991/?page_id=0&typ=buc
Text und Foto: Prof. Frank Czerner