In den letzten Jahren hat die Bedrohungslage für Einsatzkräfte wie Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste stark zugenommen. Insbesondere die Zahl der Gewaltakte gegen Polizeivollzugsbeamte stieg laut Kriminalstatistik 2023 auf über 46.000 Fälle, wobei mehr als 105.000 Personen betroffen waren. Besonders besorgniserregend ist der deutliche Anstieg von Messerangriffen, die regional um über 20 % zugenommen haben [1]. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, persönliche Schutzausrüstungen (PSA) weiterzuentwickeln, vor allem für bislang unzureichend geschützte, flexible Körperbereiche wie Gelenke, Hals oder Leiste. Konventionelle Stichschutzsysteme bieten zwar Schutz zentraler Körperzonen, sind jedoch oft schwer, unbeweglich und bei punktuellen Angriffen, etwa mit Nadeln, nur eingeschränkt wirksam [2]. Ziel des Projekts ist daher die Entwicklung eines innovativen, leichten und flexiblen Stichschutzsystems, das per Fused Layer Modeling (FLM) additiv auf textile Halbzeuge aufgebracht wird. Als Trägermaterial wird ultrahochmolekulares Polyethylen (UHMWPE) verwendet, das sich durch hohe Festigkeit, Abriebresistenz und Schnittschutz auszeichnet.
Fokus Forschung: 3D-Druck auf Schutzkleidung zur Abwehr von Messerangriffen
Fokus Forschung: 3D-Druck auf Schutzkleidung zur Abwehr von Messerangriffen
Forscher Nachwuchs | NWK 2025 | Fabian Jonas Müller forscht zu stichfester Schutzkleidung
Der Entwicklungsprozess umfasste die systematische Auswahl geeigneter Werkstoffe, die Optimierung relevanter Prozessparameter sowie die Konstruktion und Validierung anwendungsgerechter Schutzstrukturgeometrien. Ziel war es, eine hochwirksame, flexible und leichtgewichtige Schutzlösung zu schaffen, die sich dauerhaft mit dem Textilsubstrat verbindet und sich gleichzeitig für eine flächige Anwendung eignet. Die Werkstoffauswahl konzentrierte sich auf thermoplastische Polymere mit hoher Energieaufnahmefähigkeit, guter Schichthaftung und geeigneter Verarbeitbarkeit. Besonders geeignet erwiesen sich Polypropylen-Varianten, insbesondere PP-GF. Eine zunächst vielversprechende Kombination aus TPS und kohlefaserverstärktem PC-Blend wurde aufgrund thermischer Schädigungen des Textils im weiteren Verlauf ausgeschlossen. Auf Grundlage umfangreicher Vorversuche wurden materialspezifische Mindestdicken für die erforderliche Durchstichfestigkeit nach DIN EN 388 ermittelt und zentrale Druckparameter wie Z-Offset, Düsen- und Druckbetttemperatur hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Haftung systematisch untersucht. Eine Optimierung des Z-Offsets sowie der Düsentemperatur führten zu einer signifikanten Steigerung der Haftkraft zwischen Polymer und Textil von anfangs 229,88 N auf 344,53 N. Auf Basis der ermittelten verfahrenstechnischen und materialbezogenen Randbedingungen wurden vier Strukturgeometrien entwickelt (Abbildung 1) und experimentell analysiert. Ziel war eine maximale Schutzwirkung bei gleichzeitiger Flächenabdeckung, Flexibilität und Fertigbarkeit. Die Geometrie „Sechsecke mit Überhängen“ erzielte insgesamt die besten Ergebnisse. Sie erreichte eine Durchstichfestigkeit von 173,9 N (siehe Abbildung 2), was einer Verbesserung von 54 Prozent im Vergleich zum unbehandelten Textil entspricht. Außerdem bot sie eine vollständige Flächenabdeckung und eine gute Anpassung an gebogene Körperbereiche. Obwohl die größere Bauteildicke und die daraus resultierenden längeren Druckzeiten die Prozessökonomie einschränkten, erzielte diese Geometrie in der Nutzwertanalyse die besten Ergebnisse. Sie bietet bereits eine Schutzwirkung, die mit bestehenden kommerziellen Produkten vergleichbar ist, und bildet damit eine solide Basis für die Weiterentwicklung eines zertifizierbaren textilen Stichschutzsystems nach VPAM KDIW 2004.
Die resultierende Struktur bietet im Vergleich zu bestehenden Schutztextilien eine verbesserte Anpassungsfähigkeit an anatomisch komplexe Körperregionen wie Hals, Leiste oder Gelenke – bei gleichzeitig geringerem Gewicht und höherer Flexibilität. Trotz dieser vielversprechenden Ergebnisse basieren die bisherigen Erkenntnisse auf Laborbedingungen; potenzielle Einflüsse durch Alterung, Feuchtigkeit oder zyklische Belastungen blieben bislang unberücksichtigt. Zukünftige Arbeiten sollten sich daher auf Wasch- und Alterungstests konzentrieren, um die Langzeitstabilität der Haftverbindung zu validieren. Zudem wird die Entwicklung eines funktionsfähigen Prototyps, beispielsweise in Form eines T-Shirts, empfohlen, um Tragekomfort, Atmungsaktivität und Bewegungsfreiheit unter realen Bedingungen zu bewerten. Zudem sollen Strukturgrößen gezielt an unterschiedliche Körperzonen angepasst werden, etwa durch größere Elemente in wenig bewegten Bereichen und kleinere, flexiblere Elemente an dynamischen Zonen wie den Achseln. Abschließend ist im Sinne einer skalierbaren Fertigung zu evaluieren, ob alternative Fixierungsmethoden wie Unterdrucksysteme oder mechanische Spannplatten die bisher eingesetzten Magnetstreifen effizient ersetzen können.
Literatur
[1] Polizei Sachsen, Jahresüberblick 2023, [online] www.polizei.sachsen.de/de/dokumente/Landesportal/XPKSXJahresXberblickX20 23.pdf [15.05.2025].
[2] Armadillo Tex GmbH, „armadillo-tex.com,“ [online] www.armadillo-tex.com/shop-default/produkt/stichschutzweste-profi/ [15.05.2025].
Zur Person
Fabian Jonas Müller studierte Maschinenbau mit der Vertiefung Konstruktion sowohl im Bachelor- als auch im Masterstudium an der Hochschule Mittweida. Seit Januar 2024 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät Ingenieurwissenschaften (INW) in der Fachgruppe Konstruktion in der Professur für Intelligente Maschinensysteme unter der Leitung von Professor Jörg Hübler tätig. Im Rahmen des FuE-Projekts PriProTex liegt sein Forschungsschwerpunkt auf der additiven Fertigung funktionaler Strukturen für textile Anwendungen. In seiner Masterarbeit entwickelte er ein stichschutzfähiges System auf Basis des Fused Layer Modeling (FLM) unter Verwendung von UHMWPE.
Text und Grafik: Fabian Jonas Müller
Fotos: Helmut Hammer (1), Fabian Jonas Müller