Vorträge am 07. Mai 2022

Themenblock 1: Beratung als interaktive Herstellung von Praxis

Moderation: Christin Schörmann

Referent:
Prof. Dr. Tim Middendorf, SRH Hochschule Nordrhein-Westfalen

In der Dissertation zum Thema „Professionalität im Studium der Sozialen Arbeit. Eine sozialisationstheoretische Perspektive auf Ausbildungssupervision“ (Middendorf 2021) wurden die ko-konstruktiven Herstellungspraktiken des Lehr- und Lernangebots Ausbildungssupervision in den Blick genommen. Methodisch und methodologisch angelehnt an die „Reflexive Grounded Theory-Methodologie“ (Breuer et al. 2019) und auf Basis bundesweit erhobenen Videomaterials wurden die komplexen Herstellungsprozesse der Beteiligten eingeblendet, die sich mit den Außen- und Innenwelten der Akteure und des Beratungssettings interdependent verwoben zeigen. Auf diese Weise wurde die Blackbox des Vollzugs von Beratungsinteraktionen aufgehellt.

Im Vortrag geht es um die Darstellung und Diskussion zentraler Ergebnisse der Studie: Die mikrosoziale verbale und non-verbale, reflexive und vorreflexive Bezugnahme der Akteure bringt eine gemeinsame soziale Praxis von Ausbildungssupervision im Studium der Sozialen Arbeit hervor, die als asymmetrische Aushandlungspraxis be-schrieben wird. Welche Praktiken nutzen die Beteiligten? – Wie vollziehen sich die Herstellungs- und Anschlussprozesse in der Kommunikation und welche inhärenten Wirkmächtigkeiten sind identifizierbar?

Diesen Fragen gehen wir im Vortrag gemeinsam nach, um dem komplexen Aushandlungsgeschehen rekonstruktiv zu begegnen. Zu diesem Zweck nutzen wir Standbilder der Videosequenzen, die einen visuellen Einblick in die soziale Praxis von Ausbildungssupervision im Studium der Sozialen Arbeit bieten.

Referenten:
Prof. Bernd-Joachim Ertelt, Hochschule der Bundesagentur für Arbeit
Caroline Tittel, Bundesagentur für Arbeit, externe Doktorandin an der TU Darmstadt

Oftmals handelt es sich in der beruflichen Beratung um Entscheidungsprobleme, die Ratsuchende in den Prozess als ihr Anliegen einbringen. Dementsprechend liegt es nahe, Entscheidungstheorien in der Beratung zu berücksichtigen. Dies ist jedoch bislang nur selten der Fall. An dieser Stelle knüpft der Vortrag an.


Caroline Tittel referiert über ihre laufende Promotion, in welcher sie die Verknüpfung der Entscheidungstheorie mit der Beratungspraxis verfolgt. Sie erarbeitet mithilfe von Erkenntnissen der deskriptiven Entscheidungstheorie ein Kategoriensystem, das dazu in der Lage sein soll, die Interaktion in konkreten Beratungssituationen anhand des Entscheidungsverhaltens der Akteur:innen abzubilden. Das Kategoriensystem soll Grundlage für eine strukturgeleitete Reflexion der Beratungspraxis sein, was für die Aus- und Weiterbildung und Supervision hilfreich sein kann. Zum anderen bietet es die Grundlage für die Arbeit mit Künstlicher Intelligenz.
Prof. Dr Bernd-Joachim Ertelt knüpft hier mit dem Bericht über das Forschungsprojekt an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA) zur „Künstlichen Intelligenz in der Berufsberatung“, das in Zusammenarbeit mit der „Simply Rational GmbH“, dem Max-Planck-Spin-Off von Prof. Dr. Gigerenzer, Prof. Dr. Artinger, Dr. Keller und Dr. Petersen, im Oktober 2021 begonnen wurde. Dabei geht es um prozessbegleitende berufskundliche und arbeitsmarktliche Informationen für Beratende, zur inkrementellen Vervollständigung von Lösungsräumen für Klient:innen, unter Beachtung deren Entscheidungsverhaltens (individuelle Heuristiken).

Referentin:
Marlene Wicker M.A., Hochschule der Bundesagentur für Arbeit

Thema:
Wie kann ein Beratungssetting in einem berufsinformierenden und berufsberatenden Kontext gestaltet werden, um die berufliche Selbstwirksamkeitserwartung älterer Arbeitsloser zu verändern?

Zusammenfassung:
Negative Altersstereotype haben direkte Auswirkung auf Verhalten, Leistung und Motivation und verursachen, dass die für berufliches Selbstvertrauen und beruflichen Erfolg verantwortliche berufliche Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) abnimmt (Lawton 1969, S.182). Dies erschwert den Wiedereinstieg in Arbeit für ältere Arbeitslose zwischen 50- und 65 Jahren deutlich (Lawton 1969, S.179ff; Wahl 2017, S.40ff): Die Verweildauer in Arbeitslosigkeit liegt für diese Gruppe deutlich über dem Bundesdurchschnitt und nur etwa 12% aller neu geschaffenen Stellen werden mit Älteren besetzt (Bellmann 2016; Statistik der BA 2019). Ein Grund hierfür können die hinsichtlich ihrer Gültigkeit bereits wissenschaftlich revidierten, aber weiterhin vorherrschenden negativen Stereotype hinsichtlich des Alterns sein. Die in dieser Arbeit durchgeführte Studie gibt Aufschluss darüber, wie die berufliche SWE und die korrelierende Variable der arbeitsmarktorientierten Zuversicht (AM) von älteren Arbeitslosen im Kontext der Beratungen der Bundesagentur für Arbeit (BA), jenseits der bekannten Beratungsformate, erhöht werden kann. Hierzu wird das Beratungssetting einer Gruppenveranstaltung über positive Altersstereotype mit der Methode des Primings manipuliert, um im Kontrollgruppenverfahren feststellen zu können, ob bereits diese Veränderung ausreichen könnte, um die berufliche SWE und die AM der älteren Arbeitslosen zu erhöhen. Darüber hinaus werden Effekte des Primings auf unterschiedliche Altersgruppen, bei unterschiedlicher Dauer der Arbeitslosigkeit, bei den Geschlech-tern und bei unterschiedlichem Bildungsstand gemessen. Die Ergebnisse des Experiments zeigen, dass ein über positive Altersstereotype verändertes Beratungssetting dazu beitragen kann, die berufliche SWE und die AM von allen Arbeitslosen, insbesondere von der Gruppe der älteren Arbeitslosen, zu erhöhen. Priming wirkt zu jedem Stadium der Arbeitslosigkeit, wobei Langzeitarbeitslose noch etwas stärker von der Primingintervention profitieren. Außerdem unterstützt Priming Männer bei der Erhöhung ihrer beruflichen SWE und der AM, während bei Frauen die Primingintervention nur auf die AM, nicht aber auf die berufliche SWE zu wirken scheint. Priming wirkt Bildungsstandunabhängig, wobei Akademiker dennoch etwas stärker auf den Prime reagieren, als Nichtakademiker. Der Vortrag stellt die wichtigsten Theorien, die Erhebungsmethode und die Ergebnisse der Studie vor. Darüber hinaus werden aus den Ergebnissen Einsatz- und Anwendungsbereiche des Primings im beraterischen Kontext hergeleitet. Gleichzeitig werden so Einblicke in das beraterische Tätigkeitsfeld der Bundesagentur für Arbeit ermöglicht, welches insbesondere auch für Absolvent:innen der Sozialen Arbeit ein attraktives Tätigkeitsfeld darstellt.

Themenblock 2: Beratungsinteraktion im Kontext von Macht und (Un-) Gleichheit

Moderation: Prof. Michael Appel

Referentin:
Prof. Monika Althoff, IU Internationale Hochschule, Supervisorin (DGSv)

Der Vortrag intendiert eine theoretische Fundierung und damit einen Beitrag zur Professionalisierung von Beratung.

Beratung stellt eine Kernaufgabe der Sozialen Arbeit dar und findet in den ausdifferenzierten Feldern der Sozialen Arbeit statt. Beratung ist kontinuierlich Teil des professionellen, adressatenorientierten Handelns und trägt dazu bei, dass Klient:innen ihre Lebensführung selbstbestimmter gestalten können. Damit stellt Beratung ein machtvolles Instrument dar, das eine Analyse erfordert, die die Verteilung und Auswirkungen von Macht und Herrschaft bei den Berater:innen, den Ratsuchenden und den beteiligten Organisationen offen legt.

Der Vortrag zeigt in systematisierender Form die Funktionsweisen von Beratung auf, die sich in Normalisierungs-, Optimierungs-, Wissensvermittlungs- und Aufklärungs- bzw. Autonomisierungsfunktion gliedern lassen. Anhand der Gewichtung dieser Funktionen im Beratungsprozess wird der jeweilige Charakter der Beratung offenbart, aber dennoch treten alle Funktionsweisen in jeder spezifischen Beratung auf. Die Differenzierung der Funktionsweisen der Beratung stellt ein Analyseraster dar und erlaubt es, die Facetten der Macht- und Herrschaftsverhältnisse in Beratungen zu erkennen und klarer hervorzuheben. Dazu werden sozialwissenschaftliche Machttheorien auf die jeweilige Funktionsweise bezogen und das ermöglicht, die Ebenen der Praxis – denen sowohl ein Macht- wie auch Ohnmachtserleben inhärent ist – zu prüfen und zu reflektieren.

Beratung kann sowohl Prozesse der Normalisierung und Optimierung wirkmächtig befeuern als auch in Prozessen der Aufklärung und Information als Gegenmacht fungieren. Die Analyse eines Beratungsprozesses greift zu kurz, wenn die Funktionsweisen lediglich antagonistisch gegenübergestellt werden, sondern sie sind reflexiv miteinander in Verbindung zu bringen, um das kritische Potential von Beratung auszuschöpfen und dem umfassenderen Verstehen in Beratungsprozessen Raum zu geben. Beratung als ein wirkmächtiger Ort der Subjektivierung wird im Vortrag als Macht und gleichzeitig als Gegenmacht konzeptualisiert.

Referentin:
Julia Cholewa (Dipl.-Sozialpädagogin (FH) und Soziologin (B.A.)), Promovendin an der Philosophisch-Pädagogischen Fakultät und Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Fakultät für Soziale Arbeit an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt

Die zunehmende Diversität und die Heterogenität der Lebenslagen der Bevölkerung in urbanen Räumen führt zu hochkomplexen Beratungsanliegen, die ein breites und gleichzeitig spezialisiertes Fachwissen der Sozialarbeitenden notwendig machen (vgl. Geldof 2016). Gleichzeitig sind sowohl Adressat:innen als auch Fachkräfte mit einer stark versäulten Angebotslandschaft, einer ausgeprägten Zielgruppenlogik und rechtlichen Begrenzungen konfrontiert (vgl. Korntheuer 2020).

Vor diesem Hintergrund zielt mein Dissertationsprojekt auf die Beforschung von stark strukturierten Settings in der kommunalen Beratung (Praxispartner ist das Jobcenter München) mit dem Ziel der Generierung einer theoretischen Konzeptualisierung intersektionalitätsbewusster Beratung, anknüpfend an Fragen von sozialer Teilhabe und Gerechtigkeit im Zusammenhang mit Beratungskontexten (vgl. Lewis 2011, S. 183), ab. Eine intersektionale Linse richtet den Blick der sozialwissenschaftlichen Analyse auf Fragen von Hierarchien und Macht im Zusammenhang mit (Un-)Gleichheit (vgl. Cho et al. 2013, S. 795) und fragt nach deren Erklärungspotential. Methodisch setzt das Promotionsvorhaben auf einen Mixed-Methods-Ansatz, der unter anderem Anteile rekonstruktiver Zugänge beinhaltet.

Der Vortrag gliedert sich in drei Teile: Zuerst werden Zielsetzung und Design der Forschungsarbeit vorgestellt, anschließend erste Erkenntnisse präsentiert und zuletzt Stolpersteine intersektionaler Analyse diskutiert.

Referentin:
Sarah Schirmer, Universität Siegen

In meiner Forschung beschäftige ich mich mit Sozialberatung zu Arbeitslosengeld II (ALG II), diese findet unabhängig vom Jobcenter statt. In meiner ethnografischen Studie konnte ich die Interaktion zwischen den Berater:innen und Adressat:innen teilnehmend beobachten. Dabei ist ein entscheidendes Merkmal, dass das Beratungssetting um einen dritten, nicht anwesenden, aber mächtigen Akteur erweitert werden muss. Denn Teil der Beratungssituation sind nicht nur die Berater:innen und die Adressat:innen, sondern ebenso das Jobcenter. Die Adressat:innen kommen mit einem Anliegen, das das Jobcenter betrifft, in die Beratung; sie wurden zuvor vom Jobcenter adressiert. Die Sozialberater:innen konstruieren sich durch eine aktiv vorgenommene Abgrenzung vom Jobcenter, wodurch sie ihrer Arbeit Legitimität verleihen und ihren eigenen parteilichen Anspruch explizieren. Im Beratungsprozess sind beide Akteur:innen mit einem diffusen Dritten, dem Jobcenter, konfrontiert. Das Jobcenter bleibt diffus, weil vermeintlich klare Regeln von den Jobcenter-Mitarbeitenden unterschiedlich ausgelegt werden und eben nicht so eindeutig sind, wie vielleicht angenommen. Das kann für eine erschwerte Beratungssituation sorgen. Damit umzugehen ist eine Anforderung an die professionelle Beratung in diesem spezifischen Feld der vom Jobcenter unabhängigen Beratung zu ALG II. Mit dem Erfahrungswissen der Adressat:innen und der Berater:innen sowie dem fachlichen Wissen Letzterer wird versucht das Anliegen zu bearbeiten, um das bestmögliche Ergebnis für die Adressat:innen zu erzielen. Dabei kommt es aufgrund der Unübersichtlichkeit der Regeln und ambivalenter Erfahrungen in den Beratungssituationen zu einem spekulativen Nicht-Wissen, d. h., dass viel Wissen eingebracht wird, aber die Konsequenzen spekulativ bleiben (Schirmer 2021: 221). In meinem Vortrag möchte ich von der methodisch bewusst naiven Ausgangsfrage „What’s going on?“ die Selbstkonstruktion der Sozialberater:innen unter professionstheoretischen Aspekten aufzeigen.

Themenblock 3: Komplexe Settings in der Beratung (Professionstheoretische Beobachtungen 1)

Moderation: Prof. Maria Schmidt

Referent:
Prof. Stefan Busse, Hochschule Mittweida

Bereits in der beraterischen Dyade des Einzelsetting ist die Berater:in, der Berater die/der hinzukommende Dritte. In der Regel müssen hier nichtanwesende Dritte angemessen repräsentiert und so Teil der beraterischen Interaktion werden. Daraus entsteht für alle Beteiligten eine triadische Grundkonstellation in der Beratung. Deren Komplexität nimmt in Mehrpersonensettings erheblich zu. Im Rahmen komplexer Beratungsaufträge mit wechselnden Einzel- und Mehrpersonensettings steigert sich diese um ein Weiteres. Dies ist vor allem eine Herausforderung an die trianguläre Kompetenz der Berater:in. Diese/r muss zwischen den Beteiligten übersetzen, vermitteln, sowohl die eigene Position zwischen Neutralität und dosierter Parteilichkeit halten als auch als Nicht-Wissende und privilegiert Wissende agieren. Anhand einer verfassten supervisorischen Fallgeschichte werden nicht nur die interaktionalen und kommunikativen Herausforderungen für die Beratung rekonstruiert, sondern auch, wie die Berater:in dabei in organisationalen Strukturkonflikte verwickelt wird. Zudem wird deutlich werden, welchen besonderen empirischen Zugang „Fallgeschichten“ – als hybride Texte zwischen Interaktionsprotokoll, Situationsbeschreibung und Handlungsbegründung – für die rekonstruktive Forschung erlauben.

Referentin:
Julia Hille, Otto-von-Guericke Universität Magdeburg

Unabhängig von Disziplin, Profession oder Kontext, kann Beratung allgemein beschrieben werden als eine „Interaktion zwischen zumindest zwei Beteiligten, bei der die beratende(n) Person(en) die Ratsuchende(n) - mit Einsatz von kommunikativen Mitteln - dabei unterstützen, in Bezug auf eine Frage oder auf ein Problem mehr Wissen, Orientierung oder Lösungskompetenz zu gewinnen“ (Sickendiek et al. 2008, S. 13). Beratung stellt hier eine Interaktionsform dar, in der eine Übereinkunft zwischen den Beteiligten hergestellt wird, wie gemeinsam gehandelt werden soll (Bauer 2014). Allerdings kann auch in institutionalisierten und standardisierten Beratungssettings eine Vorstellung über Beratung von allen Beteiligten nicht vorangenommen werden. Erstgespräche dienen u.a. dazu, Menschen, die eine Beratung aufsuchen, als Adressat:innen von Beratung zu konstruieren. Dabei werden ihnen klient:innenspezifische Rollen zugeschrieben „und die Einsozialisation in die spezifische Form der institutionell vorgesehenen beraterischen Kommunikation erfolgt“ (Bauer 2014, S. 234). Es bedarf eine relationale Verständigung darüber, worum es in der Beratung gehen soll. Dabei „treffen unterschiedliche Deutungen, Zumutungen, Wahrnehmungen und Problematisierungen zusammen, ohne dass sie immer zusammenpassen würden“ (Bizan/Bolay 2013, S.41). Doch wie verhalten sich die genannten Adressierungen in einer Beratung, wenn nicht Einzelpersonen beraten werden, sondern ein Paar? In der Paarberatung ist das Setting, dass beide Paarteile die Paarberatung mit einem oder zwei Berater:innen, üblich. Die große Themenvielfalt, die sich aus der Vielzahl der Bedürfnisse beider Partner:innen aus der Dyade ergeben, erhöhen die Komplexität von Paarberatung (Ebbecke-Nohlen, 2014; Hille et al. 2021). Anhand von Gesprächen systemischer Paarberatung mit Co-Berater:innenteams wird in meinem Vortrag aufgezeigt, wie das Settingsformat die Form der Adressat:innenkonstruktion beeinflusst (Hille et al. 2022). Dabei wird der Blick auf die Ko-Konstruktion, also die gemeinsame Herstellung des Handlungsfeldes durch die Professionellen und der Paare, geworfen.

Referent:
Hans-Peter Griewatz M.A., RWTH Aachen

Supervision dient der fallbezogenen Reflexion in pädagogischen, sozialarbeiterischen und medizinisch-therapeutischen Kontexten – als Beratung, die sich an Angehörige professioneller bzw. „professionalisierungsbedürftiger“ (Oevermann) Berufe richtet. Diese sind „im Kern mit der Aufgabe der stellvertretenden Krisenbewältigung für einen Klienten (!) auf der Basis eines explizit methodisierten Wissens beschäftigt“ (Oevermann 2009: 113). Die stellvertretende Krisenbewältigung ist der Kern professionellen Handelns und steht immer in der Gefahr des Scheiterns, weil professionelles Handeln nicht standardisier-, technisier- oder routinisierbar ist, sondern ein zukunftsoffener Prozess.

Supervision bewegt sich auf somit auf drei Ebenen der Krisenbewältigung:
1. mit dem lebensweltlichen Problem der Klient:in, mit dem die professionelle Akteur:in konfrontiert ist,
2. mit dem krisenanfälligen Arbeitsbündnis, das zwischen professioneller Akteur:in und Klient:in besteht und
3. mit der prinzipiell krisenhaften, weil ebenfalls nicht routinisierbaren supervisorischen Praxis selbst.

Idealtypisch wird in der Supervision das krisenhafte bzw. in die Krise geratene Arbeitsbündnis zwischen professioneller Akteur:in und Klient:in bearbeitet, damit die professionelle Akteur:in bei der Bearbeitung der lebensweltlichen Krise ihrer Klient:in wieder handlungsfähig ist. Anhand einer transkribierten Supervisionssitzung, die mit der Methode der Objektiven Hermeneutik rekonstruiert wurde, soll herausgearbeitet werden, inwieweit dieser Anspruch eingelöst wird.

Themenblock 4: Strukturdilemmata in der Beratung (Professionstheoretische Beobachtungen 2)

Moderation: Prof. Nina Erdmann

Referenten:
Prof. Dr. Erik Weber, Philipps-Universität Marburg
Ole Landsberg, M.A., Philipps-Universität Marburg

Fragen der Qualität von Beratung spielen im Kontext der Identifizierung von Beratungsbedürfnissen in den Lebenslagen von Menschen mit verschiedensten Beeinträchtigungen eine zentrale Rolle, wenn es bspw. darum geht, adäquate Beratungsangebote zu konzipieren. U.a. durch das Bundesteilhabegesetz und der dort festgeschriebenen Rahmung einer Beratung zur Teilhabe ist in den gesamten Diskurs der Beratung in Kontexten von Beeinträchtigungen und Behinderungen eine neue Dynamik gekommen. Es lässt sich in den Feldern der beraterischen Praxis eine Tendenz beobachten, dass Beratung hier in erster Linie im Kontext sozialrechtlicher Fragestellungen erfolgt, weniger in Bezug auf individuelle und strukturelle Exklusionsrisiken. Um sich aber mit ebensolchen Exklusionsrisiken auseinanderzusetzen, steht eine noch stärker zu profilierende Beratung zur Teilhabe im Spannungsfeld notwendiger Kategorisierungsprozesse (insbesondere im Hinblick auf sozialrechtliche Ansprüche) und einer, die bio-psycho-soziale Gewordenheit der Person berücksichtigenden, Herangehensweise, jenseits diskriminierender und ausgrenzender Zuschreibungen. Mit dem Ansatz einer ebenfalls noch auszugestaltenden rehistorisierenden Beratung legen die Autoren eine Skizze für die Modellierung eines qualifizierten Beratungsansatzes im Kontext von Teilhabeberatung vor, von dem anzunehmen ist, dass er Möglichkeiten einer de- bzw. re-kategorisierenden Beratung eröffnet. Verbunden damit ist eine in einem weiterführenden Forschungsvorhaben angestrebte konkrete Weiterentwicklung der Beratungspraxis sowie eine übergreifende Erweiterung der theoretischen Diskurse zur Beratung.

Referent:
Jens Vogler M.A.,  Hochschule Fulda / Hessisches Promotionszentrum Soziale Arbeit

In der Analyse von Beratungssituationen in migrationsbezogenen Kontexten zeigen sich eklatante Widersprüche zwischen dem professionellen Anspruch Sozialer Arbeit und ihrer Beratungspraxis. Machtverhältnisse im Handlungsfeld Migration (re-)produzieren sich in besonderer Weise. Zuschreibungen und Unterscheidungskriterien werden mit (vermeintlichen) Anliegen der Adressat:innen in Verbindung gebracht. Arbeitsbeziehungen zwischen Berater:innen und Adressat:innen konstituieren sich dann über Vorstellungen der Berater:innen gegenüber „den Anderen“. Damit ist zumeist nicht das formulierte Anliegen der Ausgangspunkt der Beratung, sondern dieser ist überlagert von persönlichen, organisatorisch(en) bzw. institutionell(en) (vorgegebenen) Vorstellungen über die Adressierten.

Diese Widersprüchlichkeit von Beratung im Handlungsfeld Migration steht im Fokus des Vortrags und wird anhand von sich konstituierenden Arbeitsbeziehungen beschrieben. Empirische Grundlage sind konkrete Interaktionen zwischen Berater:innen und ihren Adressat:innen, die gesprächsanalytisch-orientiert (vgl. Deppermann 2008) untersucht wurden. Hinzugezogen wurde außerdem Datenmaterial aus dem Forschungsprojekt ProZiS. Hier wurden problemzentrierte leitfadengestützte Interviews mit Sozialarbeiter:innen zu „Arbeitsbeziehungen […], fachlichen Selbstverständnissen und Hilfekonzepten im Kontext von Zuwanderung“ (Alisch et al. 2021) geführt und in Anlehnung an die Dokumentarische Methode (vgl. Nohl 2017) erneut analysiert.

Mit diesem triangulierten Vorgehen werden verschiedene Ausprägungen von Arbeitsbeziehungen herausgearbeitet, die einerseits sehr konkret die Widersprüchlichkeit zwischen persönlichen Erwartungen und institutionellen Vorgaben in sich tragen und andererseits zeigen, wie diese Widersprüchlichkeit (beratend) umgangen wird bzw. wie die Adressat:innen eigensinnige Praktiken andeuten, um die Beratung (mit) zu lenken.

 

Referent:
Volker Jörn Walpuski M. A., Zentrum für wissenschaftliche  Weiterbildung an der Universität Bielefeld e.V.

Empirische Grundlage des Vortrages ist ein mehrjähriger Supervisionsprozess, der als Forschungsinstrument genutzt und theoretisch begründet wird. Der seit 2017 laufende Supervisionsprozess findet bei einem großen konfessionellen Träger statt, der in seinem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe rund 1.000 Kindertagesstättenplätze bereithält. Die acht Leiterinnen dieser Einrichtungen nehmen sowohl am Supervisionsprozess als auch parallel an einem Qualitätsmanagementprozess teil. Beide Beratungsprozesse werden von externen Beratern durchgeführt. Im Supervisionsprozess wird das Unverstandene und Konflikthafte des QM-Prozesses thematisiert. Dabei werden zunächst die unterschiedlichen Wissenssysteme, auf die zurückgegriffen wird, als Spannungsfelder deutlich: Manageriell-funktionalisierende QM-Beratung trifft auf professionstheoretisch-ethische Beratung in Form der Supervision. Die Widersprüche dieser Wissenssysteme lassen sich als latenter Konflikt um Einfluss und Vorherrschaft beschreiben, die neben organisationalen auch zu intrapersonalen Fragestellungen führen. Die empirisch-phänomenologischen Beobachtungen werden im Abgleich mit Beratungs-, Professions- und Organisationstheorie analysiert und dargestellt.

In Hinblick auf das Tagungsthema werden thematisch folgende Aspekte bearbeitet:

  • Professionstheoretische Konzeptualisierungen von beraterischem Handeln 
  • Wissensverwendung und -generierung in der Beratung
  • Mehrpersonensettings und trianguläre Anforderungen in der Beratung
  • Macht, Widerstand, Einfluss als (latente) Themen in der Beratung
  • Unterschiedliche Beratungsansätze und -methoden in ihren Wirkungen

Workshop/ Forschungswerkstatt 1: Interaktive Herstellung von Beratungsergebnissen

Workshopleitung:
Markus Lohse M. A., Hochschule Mittweida

Mit diesem Workshopangebot wird der Frage nachgegangen, inwieweit sich Unterschiede im Beratungshandeln von Expert:innen und Noviz:innen beobachten lassen. Der Referent stellt dazu ein experimentelles Setting, als Teil des Forschungsdesigns seiner Dissertation vor. In dessen Rahmen dienen Fokusgruppengespräche als Datenerhebungsinstrument. Damit werden Beobachtungen zu Beratungshandeln in Einzelsupervisionssitzung generiert und Vergleiche hinsichtlich unterschiedlicher Professionalisierungsgrade angestellt.
Diese Vorgehensweise wird exemplarisch gemeinsam nachvollzogen, indem
1. zwei Supervisionssitzungen re-inszeniert,
2. Hypothesen zu Unterschieden (und Gemeinsamkeiten) im Beratungshandeln und Rückschlüsse auf unterschiedliche Professionalisierungsgrade zwischen Expert:innen und Noviz:innen generiert und
3. diese mit (Teil-)Ergebnisse aus der Dissertation kontrastiert werden.

Durch Lesen von zwei Einzelsupervisionstranskripten (Auszüge) in verteilten Rollen wird gemeinsam beobachtet, wie sich unter anderem interaktives Verstehen vollzieht, Erkenntnis und Einsicht erzeugt und eine (gemeinsame) Falltheorie hergestellt wird. Ein sich daran anschließendes Fokusgruppengespräch aller Teilnehmer:innen über die so re-inszenierten und beobachteten Supervisionsausschnitte wird durch Impulsfragen des Referenten gesteuert.

AUSGEBUCHT - Workshop/Forschungswerkstatt 2: Herstellung von Beziehung in niedrigschwelligen Beratungssettings

Workshopleitung:
Prof. Ursula Unterkofler, Hochschule München,
Prof. Rebekka Streck, Evangelische Hochschule Berlin

Der Workshop hat das Ziel, gemeinsam mit den Teilnehmer:innen niedrigschwellige Beratung als interaktive, ko-konstruktive Praxis zu rekonstruieren. Wir gehen davon aus, dass Beratung interaktiv hergestellt wird und dass im niedrigschwelligen Setting den Adressat:innen/Nutzer:innen von Beratung eine spezifische Rolle zukommt: Sie bestimmen den Beginn und das Ende, somit den Zeitraum der Beratungsinterkation (mit), ebenso deren Intensität, deren Thematik (inkl. Themenwechsel und Abbrüche), u.v.m. Professionell Beratende haben dabei die Aufgabe, Gelegenheitsstrukturen für die Beratung herzustellen, für die niedrigschwellige Settings spezifische (auch räumliche) Voraussetzungen zur Verfügung stellen, um die Zugänglichkeit zu Beratung möglichst vielfältig zu gestalten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie niedrigschwellige Beratung in konkreten Situationen – als Aushandlungsprozesse zwischen Adressat:innen/Nutzer:innen und Sozialarbeiter:innen herge-stellt wird. Im Workshop möchten wir vor allem den Fokus auf die Beziehungsebene legen. D.h. wie beziehen sich Nutzer:innen und Sozialarbeiter:innen auf Beziehungsanteile, die nicht ein rollenkonformes Dienstleistungsarrangement betonen. Wie stellen sie das persönliche Vertrauen oder spezifische Beziehungsanteile gemeinsam her, wie verhandeln sie, auf was sich bezogen werden kann und auf was nicht. Diese Analyse kommt nicht ohne eine Rekonstruktion der situativen, organisationalen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen aus. Im Workshop möchten wir mit den Teilnehmer:innen ausgewählte Beobachtungsprotokolle aus unterschiedlichen Studien interpretieren, die in niedrigschwelligen Settings der Drogenhilfe entstanden sind. Anhand der Analyse der Protokolle sollen Kategorien erarbeitet werden, die Merkmale niedrigschwelliger Beziehungsarbeit in Beratungssituationen exemplarisch als Doing Social Work deutlich machen.

Podiumsdiskussion

Feedbacks aus den Workshops – "Was haben wir über die Rekonstruktion von Beratungsinteraktion gelernt?“

Moderation:
Prof. Stefan Busse, Hochschule Mittweida

Podium:
Prof. Ursula Unterkofler, Hochschule München
Prof. Rebekka Streck, Evangelische Hochschule Berlin
Markus Lohse M. A., Hochschule Mittweida

Veranstaltungsende: gegen 17:00 Uhr