Wenn die Weste auf die Schulter klopft…

Wenn die Weste auf die Schulter klopft…

Saxony5, 2021

Taktile Sicherheitsforschung an der Professur für Systemelektronik der Hochschule Mittweida

Eine Frau steht an einem Lagerregal mit dem Rücken zum Zuschauer. Sie trägt eine spezielle Weste
Szenenbild aus dem Saxony5-Transferfilm „Mehr Sicherheit in der Intralogistik“

Schauplatz: Eine Lagerhalle eines Logistik-Unternehmens in Sachsen. Das Tagesgeschäft floriert, Gabelstapler bewegen Paletten und Behälter, Angestellte stellen Sendungen zusammen, Signallampen leuchten, Tore öffnen und schließen sich, begleitet von Warnhupen und dazwischen bewegen autonom fahrende Transporter Paletten. Mittendrin die neuen Auszubildenden in ihrer ersten Woche, hellwach, aufgeregt und ein wenig überfordert von der Gesamtsituation. Am Morgen haben sie von ihrem Ausbilder eine gelbe Warnweste erhalten, bestückt mit allerlei Elektronik und der Anweisung, diese Weste den ganzen Tag zu tragen.

Und dann passiert es: Mit dem Rücken zur Hauptachse stehend macht einer der Auszubildenden einen Schritt zurück und gerät damit genau in die Fahrbahn eines sich nähernden Palettentransporters. Der Jugendliche stoppt, wirft einen Blick über die Schulter und sieht das Palettenfahrzeug. Schnell bewegt er sich außerhalb dessen Fahrspur, rechtzeitig genug, um unversehrt aus dieser Gefahrenlage zu entkommen. Später wird er sagen, die Weste habe ihm auf die Schulter geklopft und so habe er instinktiv nach dem Fahrzeug geschaut.

Damit genau dies zur Realität wird, arbeiten Prof. Michael Kuhl und seine Kolleginnen und Kollegen an der Professur für Systemelektronik der Hochschule Mittweida gemeinsam mit weiteren Forschungs- und Industriepartnern seit einigen Jahren an einem vibrotaktilen Warnsystem mit Multisensor-Auswertung. Unter vibrotaktilen Signalen versteht man Signale, die einen Menschen über den Tastsinn erreichen, also beispielsweise über das besagte „Schulterklopfen“. Dies wird als Eindringen in den persönlichen Bereich wahrgenommen und ist somit effizienter als die herkömmlichen optischen und akustischen Signale. Ein Tastsignal lässt sich evolutionsbedingt nur schwer mental ausblenden und wird über längere Zeit auch nur sehr gering adaptiert.

Während bei herkömmlichen Warnsystemen meist nur die Signale eines Sensors ausgewertet werden, kombiniert das neue System eine Time-of-Fligth-3D-Kamera mit derzeit drei separaten Radarsensoren. Diese können zum Teil auch optisch verdeckte Objekte oder Personen erkennen, während die Kamera vor allem durch ihre räumliche Auflösung und die Zahl der gleichzeitig detektierbaren Objekte punktet. Die Kombination der beiden Signale und deren Auswertung sorgt so für einen umfassenderen Schutz und kann sowohl die gefährdete Person als auch den Gefährder, zum Beispiel den oder die Gapelstaplerfahrer:in, richtungsorientiert warnen.

Einsatz finden soll das neue System sowohl bei Firmen mit eigenem Logistikbereich und Werksverkehr, denkbar sind aber auch Anwendungen in Produktionsanlagen mit Gefahrenpotential durch bewegte Maschinen oder im Bahn- und Güterverkehr.

Standen am Anfang der Entwicklungszeit vor allem die technische Realisierung, Machbarkeits- und Akzeptanzstudien und die Auswertung der Sensorsignale im Vordergrund, geht es nun um die Miniaturisierung und Überführung in eine Produktschiene in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Chemnitz und einer Reihe von sächsischen Industriepartnern. Diese decken eine mögliche Produktkette nahezu vollständig ab, vom 3D-Kamera-Hersteller über Elektronik-Entwicklungspartner, Anbietern von Logistiksoftware bis hin zum Anbieter von Flurförderfahrzeugen.

Die Professur für Systemelektronik ist Partner im SaxonyCo-Creation Lab „Vernetzte Mobilität“. Saxony5 ist ein Verbundprojekt der fünf sächsischen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften mit dem Ziel der Stärkung des forschungsbasierten Wissens- und Technologietransfers. Um diese Transferprozesse zu unterstützen, entstehen im Rahmen des Verbundvorhabens die sogenannten Transferfilme, die jeweils ein erfolgreiches Transferprojekt vorstellen.

Den neusten Saxony5-Transferfilm mit der vibrotaktilen Warnweste unter dem Titel „Mehr Sicherheit in der Intralogistik“ finden Sie unter folgendem Link.

 

Die Forschungsprojekte 3Dim-Hapt und 3Dsys werden gefördert von

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf der Webseite der Hochschule Mittweida unter Fokus Forschung.